Ein Expertengespräch mit Dr. Sylvester Walch, erfahrener Psychotherapeut, Lehrsupervisor und Dozent
Wenn wir darüber sprechen, dass jemand „Karriere macht“, dann wird das meist mit dem Hineinwachsen in eine Führungsfunktion gleichgesetzt. In den letzten Jahren macht sich aber gleichzeitig ein Trend breit, dass viele Menschen gar nicht mehr so erpicht darauf sind, Führungsverantwortung zu übernehmen. Was macht den besonderen Reiz von Führung aus psychologischer Sicht aus – und was hindert Menschen, sich einer Führungsaufgabe zu stellen?
SW: Sowohl bewusste wie auch unbewusste Motive lassen die Übernahme von Führungsverantwortung erstrebenswert erscheinen. Eine leitende Position angeboten zu bekommen, signalisiert Wertschätzung und stärkt dadurch Selbstwert und Selbstvertrauen als Voraussetzung für die Entfaltung eigener Kompetenz. Sehr motivierend wirkt auch die Hoffnung, in einer Führungsposition etwas bewirken und Visionen umsetzen zu können. Dazu kommen natürlich oft auch verdeckte Anliegen wie Machtinteressen, Kontrollbedürfnisse und narzisstische Anerkennungswünsche. Eine Führungsrolle verleiht Charisma und steigert dadurch die eigene Attraktivität. Menschen, die fähig wären, Führung zu übernehmen, haben aber dennoch oft Angst, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Dahinter verbirgt sich häufig mangelndes Selbstbewusstsein, das mehr auf frühere emotionale Defizite als auf die Mangelhaftigkeit des eigentlichen Fähigkeitsprofils zurückzuführen ist. Aber auch die hohe Komplexität der Herausforderungen und die dadurch bedingte enorme Arbeitsbelastung lassen davor zurückschrecken, Führungsaufgaben zu übernehmen. Dazu kommt heutzutage eine generelle Skepsis in Bezug auf den Managementbereich aufgrund ethischer Bedenken.
Diejenigen die diese Verantwortung suchen – oder sich ihr stellen, weil sie ihr einfach nicht auskommen: Was macht diese Menschen im besonderen Maße aus? Oder konkreter: Lassen sich aus der Perspektive jahrzehntelanger psychotherapeutischer Arbeit mit Führungskräften Themenkomplexe herausfiltern, die häufig wiederkehrend und daher besonder relevant sind?
SW: Wenn wir einmal von neurotischen Macht- und Kontrollzwänge nach dem Motto „Lieber führe ich, als mich ins Verderben führen zu lassen“ absehen, ist es oft von prägender Bedeutung, wenn jemand schon sehr früh in seinem Leben Verantwortung übernehmen musste. So etwa, wenn ein Kind den Partner eines Elternteiles ersetzen musste, in jungen Jahren für jüngere Geschwister zu sorgen hatte oder sonst verantwortliche Aufgaben angetragen bekam. Menschen mit solchen Erfahrungen drängt es meistens auch im Erwachsenenalter dazu, Führungspositionen zu übernehmen. Noch ein letzter Punkt, der mehr in der Wesensnatur einer Person begründet liegt. Bei Menschen, die kraft ihrer Mentalität, Disziplin und Ausstrahlung zur Führung prädestiniert sind, kann man oft auch von einer tieferen inneren Bestimmung zur Berufung ausgehen, die sich nicht nur von psychischen Dispositionen herleiten lässt.
Eine der für mich prägendsten Erfahrungen zu Beginn meiner Berufslaufbahn war der Rat eines damaligen Kunden und inzwischen langjährigen Freundes: „Wenn du eine Führungsfunktion zu besetzen hast, dann achte darauf, dass sich die betreffende Person schon einmal in einer wirklich schwierigen Situation bewährt hat.“ – Was unterstützt Führungskräfte im Alltag am Besten, einen möglichst konstruktiven Umgang mit aktuellen Belastungssituationen zu finden? – Und: Welchen Nutzen ziehen sie daraus als Persönlichkeiten?
SW: Wer selber schon Grenzsituationen positiv bewältigt hat, vermag anderen Menschen besser in schwierigen Situationen beizustehen. In belastenden Momenten Ruhe zu bewahren, auf seine Fähigkeiten zu vertrauen, sich für Intuitionen zu öffnen und von der Situation führen zu lassen, sind wichtige Eigenschaften guter Führung. Wer bereit ist, sich vom Fluss des Geschehens tragen und transformieren zu lassen, erfährt eine kreative Dynamik, die ihn weit über sein eigenes Fähigkeitspotenzial hinausheben kann. Ein hohes Niveau von Führungskompetenz erweist sich daran, das eigene Wollen in Bezug auf die Weisheit des größeren Ganzen zu relativieren.
Nun gibt es in der Führungskräfteentwicklung natürlich verschiedenste Ansätze. Was sie alle gemeinsam haben ist, dass sie sich in der Regel vor Unternehmensleitungen bezüglich ihrer Rentabilität zu verantworten haben. Was haben Unternehmen davon, wenn Führungskräfte sich verstärkt mit ihrer eigenen Persönlichkeit auseinandersetzen?
SW: Wer sich mit seiner eigenen Persönlichkeit auseinandersetzt, wird seine Führungsqualitäten nachhaltig verbessern, weil dadurch blinde Flecken erkannt, Blockaden gelöst, innere Fundamente gestärkt und Wahrnehmungshorizonte erweitert werden. In diesem Prozess werden gleichzeitig durch unbearbeitete seelische Konflikte verursachte Mängel im Umgang mit anderen Menschen abgebaut. So wird der Umgang mit Führungsverantwortung zu einer Herausforderung, die zur ganzheitlichen Entwicklung der eigenen Persönlichkeit beiträgt.
Auf der anderen Seite ist der Markt für Führungskräfteentwicklung, Trainings und Coachings ein heiß begehrter und wie so oft ist nicht alles Gold was glänzt. Was können Unternehmen konkret tun, wenn sie in die Entwicklung ihrer Führungskräfte investieren wollen? Woran kann sich ein Unternehmen bei der Auswahl orientieren und sich vor unseriösen Angeboten schützen?
SW: Zunächst ist einmal zu prüfen, welchen Weg jemand gegangen ist. Dabei ist nicht nur auf eine solide Grundausbildung und vertiefte Wissenskompetenz, sondern auch auf Beziehungsfähigkeit und vertrauensvolle Ausstrahlung zu achten. Führungskräfte sollen sich ja in Gegenwart eines Trainers auch für Tabuthemen und das Ansprechen persönlicher Schwierigkeiten öffnen können. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist, dass der Anbieter keine vorschnellen Lösungen verspricht, überzogene Erwartungen weckt oder Konkurrenten abwertet.
Dr. Sylvester Walch, ist Approb. Psychologischer Psychotherapeut, Ausbilder für Psychotherapie und Lehrsupervisor für Integrative Therapie, Integrative Gestalttherapie, transpersonale Psychotherapie und holotropes Atmen mit Lehraufträgen an verschiedenen Universitäten im deutschsprachigen Raum. Er leitete über viele Jahre eine stationäre psychotherapeutische Einrichtung und verfasste zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten.
Seine Spezialgebiete sind Bewusstseinsforschung, transpersonale Psychologie und Psychotherapie, Grenzgebiete der Psychologie, holotropes Atmen, spirituelle Wege und mystische Schulen, humanistische Psychotherapierichtungen, prozessorientierte Körperarbeit, Integrative Gestalttherapie und Integrative Therapie.
Mehr von Dr. Sylvester Walch finden Sie auf seiner Homepage.
© Photo by Sylvester Walch