Führung und Persönlichkeit

Ein Expertengespräch mit Dr. Sylvester Walch, erfahrener Psychotherapeut, Lehrsupervisor und Dozent

Wenn wir darüber sprechen, dass jemand „Karriere macht“, dann wird das meist mit dem Hineinwachsen in eine Führungsfunktion gleichgesetzt. In den letzten Jahren macht sich aber gleichzeitig ein Trend breit, dass viele Menschen gar nicht mehr so erpicht darauf sind, Führungsverantwortung zu übernehmen. Was macht den besonderen Reiz von Führung aus psychologischer Sicht aus – und was hindert Menschen, sich einer Führungsaufgabe zu stellen? 

SW: Sowohl bewusste wie auch unbewusste Motive lassen die Übernahme von Führungsverantwortung erstrebenswert erscheinen. Eine leitende Position angeboten zu bekommen, signalisiert Wertschätzung und stärkt dadurch Selbstwert und Selbstvertrauen als Voraussetzung für die Entfaltung eigener Kompetenz. Sehr motivierend wirkt auch die Hoffnung, in einer Führungsposition etwas bewirken und Visionen umsetzen zu können. Dazu kommen natürlich oft auch verdeckte Anliegen wie Machtinteressen, Kontrollbedürfnisse und narzisstische Anerkennungswünsche. Eine Führungsrolle verleiht Charisma und steigert dadurch die eigene Attraktivität. Menschen, die fähig wären, Führung zu übernehmen, haben aber dennoch oft Angst, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Dahinter verbirgt sich häufig mangelndes Selbstbewusstsein, das mehr auf frühere emotionale Defizite als auf die Mangelhaftigkeit des eigentlichen Fähigkeitsprofils zurückzuführen ist. Aber auch die hohe Komplexität der Herausforderungen und die dadurch bedingte enorme Arbeitsbelastung lassen davor zurückschrecken, Führungsaufgaben zu übernehmen. Dazu kommt heutzutage eine generelle Skepsis in Bezug auf den Managementbereich aufgrund ethischer Bedenken.

Diejenigen die diese Verantwortung suchen – oder sich ihr stellen, weil sie ihr einfach nicht auskommen: Was macht diese Menschen im besonderen Maße aus? Oder konkreter: Lassen sich aus der Perspektive jahrzehntelanger psychotherapeutischer Arbeit mit Führungskräften Themenkomplexe herausfiltern, die häufig wiederkehrend und daher besonder relevant sind?

SW: Wenn wir einmal von neurotischen Macht- und Kontrollzwänge nach dem Motto „Lieber führe ich, als mich ins Verderben führen zu lassen“ absehen, ist es oft von prägender Bedeutung, wenn jemand schon sehr früh in seinem Leben Verantwortung übernehmen musste. So etwa, wenn ein Kind den Partner eines Elternteiles ersetzen musste, in jungen Jahren für jüngere Geschwister zu sorgen hatte oder sonst verantwortliche Aufgaben angetragen bekam. Menschen mit solchen Erfahrungen drängt es meistens auch im Erwachsenenalter dazu, Führungspositionen zu übernehmen. Noch ein letzter Punkt, der mehr in der Wesensnatur einer Person begründet liegt. Bei Menschen, die kraft ihrer Mentalität, Disziplin und Ausstrahlung zur Führung prädestiniert sind, kann man oft auch von einer tieferen inneren Bestimmung zur Berufung ausgehen, die sich nicht nur von psychischen Dispositionen herleiten lässt.

Eine der für mich prägendsten Erfahrungen zu Beginn meiner Berufslaufbahn war der Rat eines damaligen Kunden und inzwischen langjährigen Freundes: „Wenn du eine Führungsfunktion zu besetzen hast, dann achte darauf, dass sich die betreffende Person schon einmal in einer wirklich schwierigen Situation bewährt hat.“ – Was unterstützt Führungskräfte im Alltag am Besten, einen möglichst konstruktiven Umgang mit aktuellen Belastungssituationen zu finden? – Und: Welchen Nutzen ziehen sie daraus als Persönlichkeiten?

SW: Wer selber schon Grenzsituationen positiv bewältigt hat, vermag anderen Menschen besser in schwierigen Situationen beizustehen. In belastenden Momenten Ruhe zu bewahren, auf seine Fähigkeiten zu vertrauen, sich für Intuitionen zu öffnen und von der Situation führen zu lassen, sind wichtige Eigenschaften guter Führung. Wer bereit ist, sich vom Fluss des Geschehens tragen und transformieren zu lassen, erfährt eine kreative Dynamik, die ihn weit über sein eigenes Fähigkeitspotenzial hinausheben kann. Ein hohes Niveau von Führungskompetenz erweist sich daran, das eigene Wollen in Bezug auf die Weisheit des größeren Ganzen zu relativieren.

Nun gibt es in der Führungskräfteentwicklung natürlich verschiedenste Ansätze. Was sie alle gemeinsam haben ist, dass sie sich in der Regel vor Unternehmensleitungen bezüglich ihrer Rentabilität zu verantworten haben. Was haben Unternehmen davon, wenn Führungskräfte sich verstärkt mit ihrer eigenen Persönlichkeit auseinandersetzen?

SW: Wer sich mit seiner eigenen Persönlichkeit auseinandersetzt, wird seine Führungsqualitäten nachhaltig verbessern, weil dadurch blinde Flecken erkannt, Blockaden gelöst, innere Fundamente gestärkt und Wahrnehmungshorizonte erweitert werden. In diesem Prozess werden gleichzeitig durch unbearbeitete seelische Konflikte verursachte Mängel im Umgang mit anderen Menschen abgebaut. So wird der Umgang mit Führungsverantwortung zu einer Herausforderung, die zur ganzheitlichen Entwicklung der eigenen Persönlichkeit beiträgt.

Auf der anderen Seite ist der Markt für Führungskräfteentwicklung, Trainings und Coachings ein heiß begehrter und wie so oft ist nicht alles Gold was glänzt. Was können Unternehmen konkret tun, wenn sie in die Entwicklung ihrer Führungskräfte investieren wollen? Woran kann sich ein Unternehmen bei der Auswahl orientieren und sich vor unseriösen Angeboten schützen?

SW: Zunächst ist einmal zu prüfen, welchen Weg jemand gegangen ist. Dabei ist nicht nur auf eine solide Grundausbildung und vertiefte Wissenskompetenz, sondern auch auf Beziehungsfähigkeit und vertrauensvolle Ausstrahlung zu achten. Führungskräfte sollen sich ja in Gegenwart eines Trainers auch für Tabuthemen und das Ansprechen persönlicher Schwierigkeiten öffnen können. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist, dass der Anbieter keine vorschnellen Lösungen verspricht, überzogene Erwartungen weckt oder Konkurrenten abwertet.

Dr. Sylvester Walch, ist Approb. Psychologischer Psychotherapeut, Ausbilder für Psychotherapie und Lehrsupervisor für Integrative Therapie, Integrative Gestalttherapie, transpersonale Psychotherapie und holotropes Atmen mit Lehraufträgen an verschiedenen Universitäten im deutschsprachigen Raum. Er leitete über viele Jahre eine stationäre psychotherapeutische Einrichtung und verfasste zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten.

Seine Spezialgebiete sind Bewusstseinsforschung, transpersonale Psychologie und Psychotherapie, Grenzgebiete der Psychologie, holotropes Atmen, spirituelle Wege und mystische Schulen, humanistische Psychotherapierichtungen, prozessorientierte Körperarbeit, Integrative Gestalttherapie und Integrative Therapie.

Mehr von Dr. Sylvester Walch finden Sie auf seiner Homepage.

© Photo by Sylvester Walch

Peter Zettel

Bewusstsein: Womit alles anfängt

Expertengespräch mit Peter D. Zettel, Zen-Meister und Autor zahlreicher Bücher zum Thema.

Wenn wir uns über Unternehmenskultur unterhalten, ist meist sehr rasch die Rede davon – aber was genau ist das: „Bewusstsein“?

PDZ: Viele Menschen verstehen unter Bewusstsein einen geistigen Zustand im Gegensatz zu dem des Schlafens nach dem Motto: Bin ich wach und ist mein Bewusstsein ungetrübt, dann bin ich auch bewusst. Tatsächlich aber ist Bewusstsein ein geistiges Phänomen, ein innerer Prozess und keinesfalls nur ein mentaler Zustand.

Neurologen und Bewusstseins-forscher sind sich einig, dass die Welt nur im Bewusstsein existiert und (erst) im Bewusstwerden entsteht. Die entscheidende Frage ist, was dies für unser Leben bedeutet. Dazu müssen wir verstehen lernen, was Bewusstsein ist, denn nur dann können wir es entwickeln und nur dann können wir die Welt wirklich sehen, wie sie ist.

Sprechen wir über Bewusstsein, dann sprechen wir über Wirklichkeit. Was also ist Bewusstsein?

PDZ: Üblicherweise versteht man unter Bewusstsein eher Aufmerksamkeit als Bewusstsein. Ein Beispiel: Kommunikation ist nur möglich innerhalb der eigenen Vorstellungen. Bewusstsein definiert den Raum, den man wahrnimmt und innerhalb dessen man sich bewegt.

Und wie entsteht Bewusstsein? Wie wird es begrenzt?

PDZ: Bewusstsein ist kein abstrakter, für jeden gleicher Seinszustand, sondern sehr individuell: Das eigene Weltbild  zeigt und spiegelt sich im Bewusstsein. Grundlegend für das Verständnis ist, dass die Welt in der wir leben im Bewusstwerden entsteht. Unser Bewusstsein ist die Welt – eine andere gibt es nicht. Das bedeutet aber auch: Die Welt „da draußen“ ist  etwas anderes als mein Bewusstsein.

Sehen wir zum Beispiel die Schneeglöckchen im Garten, dann sieht jeder etwas anderes, weil jede und jeder eine unterschiedliche Sicht der Blumen hat – und nicht nur auf diese. Doch die Schneeglöckchen sind Schneeglöckchen, daran ändert sich nichts.

Wir nennen das unterschiedliche Sichtweisen der Welt, doch in Wahrheit sind es Ansichten, nämlich unser unterschiedliches Verständnis eines Schneeglöckchens.

Dasselbe spielt sich im Unternehmen ab, wenn Teammitglieder ihre Aktivitäten koordinieren oder Informationen über Sachverhalte austauschen. Welche Rolle spielt Bewusstsein in der Kommunikation?

PDZ: Kommunikation findet im Kontext der Sprache statt.

Sage ich beispielsweise: Bei den Toten ist Frieden, dann sind alle damit einverstanden. Doch: Was ist ein Toter? Ein gestorbener Mensch kann es nicht sein, weil der nicht mehr existiert.  Auch ein Leichnam kann es nicht sein. Also ist ein Toter eine ideelle Vorstellung von etwas Beständigem.

Auch Frieden gibt es nicht. Es ist die Beschreibung für ein Phänomen, genauso wie der Tote.

Unterscheiden wir in unserer Sprache Begriffe, mit denen wir Phänomene zu erfassen suchen und solche, mit denen wir Dinge beschreiben, ändern sich Kommunikation und Bewusstsein. Nimmt man geistige Erscheinungen als das was sie sind und deutet sie nicht um als etwas Gegebenes, dann nimmt man Vieles ganz anders wahr.

Der Begriff „Unternehmenskultur“ weist schon darauf hin, dass es sich dabei ebenfalls um ein Phänomen und nicht um eine direkt verfügbare Sache handelt. Das heißt dann aber auch, dass dafür andere Fähigkeiten eines Managements oder einer Beratungsdienstleistung erforderlich sind als wenn wir an sachlichen Aufgabenstellungen arbeiten.

PDZ: Genau. Die Frage ist nämlich nicht, ob wir bewusst sind oder was Bewusstsein ist, sondern was uns bewusst ist. Wenn man das, was einem bewusst ist, für die Wirklichkeit an sich hält, hat man ein Problem. Dann werden Vorstellungen, Meinungen, Anschauungen und Ansichten genauso wie Wahrnehmungen und Empfindungen so real und wirklich angesehen, wie zum Beispiel der Auslastungsgrad einer Maschine, was sie aber nicht sind.

Was genau bedeutet das nun für die Kultur eines Unternehmens?

PDZ: Daraus leitet sich ab, dass es nicht möglich ist, Unternehmenskultur zu managen. Kultur ist ein Phänomen; ein momentaner Zustand, der etwas beschreibt, das nur in diesem Augenblick existiert und dann wieder weg ist. Kultur ereignet sich, aber sie existiert nicht. Wir behandeln sie aber wie ein Ding.

Gleiches gilt für Mitarbeiter-motivation. Managen heißt handhaben. Aber weder an Kultur noch an Motivation ist eine Stellschraube dran. Man kann Menschen begeistern, wenn man selbst überzeugt und damit authentisch ist, doch man kann keine Begeisterung erzeugen. Nur wer dafür empfangsbereit ist, wird die Begeisterung aufnehmen.

Empfangsbereit ist derjenige, dessen Bewusstsein dafür offen ist.

Ist der andere nicht offen dafür, ist darüber reden sinnlos. Das erklärt die Fruchtlosigkeit von vielen Ansätzen, die nicht greifen, weil die Menschen das Bewusstsein dafür nicht haben.

Ein Beispiel: Im Toyota-Way befinden sich viele Zen-Elemente. Deshalb mussten früher neue Mitarbeiter vor ihrem Einstieg bei Toyota einen Zen-Kurs machen. Ob das heute noch so ist, weiß ich nicht. Diese Menschen wurden geschult, die Welt auf eine untersuchende, betrachtende Art und Weise zu sehen. Dadurch wurde ihre Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung kultiviert. Weil das Weltbild sowohl das Selbstbild bestimmt als auch das Bewusstsein begrenzt, haben sich die Menschen so auf ein ähnliches Bewusstsein hin ausgerichtet und ihre Wahrnehmung wurde deckungsgleich.

Aber geh heute einmal in die Firmen und schau, was die Leute für unterschiedliche Weltbilder haben …

Das stellt an das Management eines Unternehmens und die Beraterbranche ganz neue Anforderungen: Worauf kommt es dabei besonders an?

Unternehmenskultur kann man nicht managen. Bei Toyota wurde lediglich die Voraussetzung dafür geschaffen, dass Unternehmenskultur wachsen konnte. Man kann ein Feld schaffen, in dem diese Pflanze gedeihen kann. Kann! Ob es passiert oder nicht, liegt am Anderen. Derjenige oder diejenige um die es geht, muss sich darauf einlassen. Dann kann Neues geschehen.

Menschen sind autopoetisch: von außen nicht beeinflussbar. Man kann einen Menschen nicht dazu bewegen, etwas zu tun, was er oder sie nicht will, außer durch Zwang und Gewalt. Deswegen ist Management wie es vielfach anzutreffen ist nichts anderes als Manipulation: Hierfür werden Ängste, Bedürfnisse oder die emotionale Lage der Mitarbeiter genutzt.

Darin findet sich die Erklärung für den katastrophalen Gallup-Index. Da wurde die Motivationslage in Unternehmen untersucht: In der BRD sind nur 14% der Mitarbeiter emotional gebunden an das Unternehmen, 23% haben innerlich gekündigt; der Rest macht Dienst nach Vorschrift. Aber: Die meisten Menschen sind mit ihrer Arbeit zufrieden!

Da läuft doch im Management vieler Unternehmen etwas schief! Die Frage nach dem Bewusstsein beantwortet, warum das so ist.

Die wirkliche Aufgabe eines Managements ist, Strategien zu entwickeln, nicht Menschen zu managen – weil das nicht geht. Galilei hat einmal gesagt, man könne die Menschen nichts lehren; man könne ihnen nur helfen, es in sich selbst zu entdecken. Demgemäß kann man ihnen das Feld zum Selbst-entdecken bereiten.

Jim Collins hat in seinem Buch „Der Weg zu den Besten“ untersucht, was die besonders erfolgreichen Unternehmen gemeinsam haben: Erstaunlich ist, dass sie alle extrem viel Zeit investiert haben, die Leute zu finden, die genauso denken wie sie selbst, also Leute, die das gleiche Bewusstsein, das gleiche Verständnis haben von Leben, Wirklichkeit und dem, was ihre Aufgabe ist.

DAS ist das wesentliche Erfolgskriterium. Gehalt und die ganze Motivationskiste spielen dabei keine Rolle.

Peter D. Zettel ist Zen-Meister und Autor zahlreicher Bücher zum Thema. Er stützt sich bei seiner Arbeit auf den breiten Erfahrungsschatz einer langjährigen Karriere als Rechtsanwalt, Berater, Coach und 12 Jahren in der Politik.

Mehr von Peter D. Zettel finden Sie auf seiner Homepage.

© Photo by Peter Zettel

Dr. Georg Waller

Im Wandel bestehen

Expertengespräch mit Dr. Georg Waller, Leiter der Abteilung Organisationsentwicklung und Personalausbildung in der Bundesgeschäftsstelle des AMS Österreich i.R.

Change – yes we can! Wandel ist eines der großen Schlagworte unserer Zeit. Herr Dr. Waller, als Leiter der Abteilung Organisationsentwicklung und Personalausbildung in der Bundesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Österreich sind Sie mit dem Phänomen des Wandels zu tiefst vertraut. Was hat sich im Verlauf Ihrer Karriere wirklich verändert und was waren bloße „Modeerscheinungen“?

GW: Die Frage ist eher: Was hat sich nicht verändert …? Und meine nicht sehr originelle Antwort darauf wäre, dass unverändert und beständig vor allem eines bleibt – nämlich der Wandel an sich – die Herausforderung und Notwendigkeit der beständigen Anpassung und Entwicklung, und dies betrifft Menschen ebenso wie Organisationen.

Wenn sich Ziele ändern, Aufgabenstellungen, Rahmenbedingungen, im speziellen vor allem technische Möglichkeiten … dann müssen sich immer auch Prozesse und Abläufe ändern, dann müssen auch die Ablauf- und Aufbauorganisation von Unternehmen überprüft und angepasst werden.

Und natürlich haben dann in bestimmten Phasen gewisse Konzepte, Theorien und Begriffe Hochkonjunktur, werden modern und „in“ … Da kommt es dann darauf an, sich nicht blenden zu lassen, kritisch zu bleiben, zu überprüfen, inwieweit gewisse Ansätze der konkreten Herausforderung und der jeweiligen Organisation, ihrer Aufgabenstellung – aber auch ihrer „Geschichte“ und bisherigen Entwicklung angemessen sind.

In diesem Sinn soll und kann man vermeiden, aus einer „Mode“ heraus Zick-Zack-Kurse zu fahren. Der Blick zurück auf die bisherige Geschichte und Entwicklung der Organisation ist auch ein gewisser Kompass – woher die Reise kommt, wohin sie von diesem Punkt aus weiter gehen sollte …

Welche Erfahrungen haben Sie mit einer neuen Generation von Mitarbeitenden: Stichwort Wertewandel – „Erbengeneration“ – High Potentials?

GW: Dies wird zunehmend zu einem Thema – je länger Menschen im Arbeitsprozess bleiben und je rascher sich Einstellungen und Orientierungen ändern – umso vielfältiger treffen und mischen sich dann verschiedene Generationen in Organisationen und Arbeitsbereichen.

Persönlich hab ich selbst in meinem näheren Umfeld am stärksten erlebt die Ablösung der stärker gesellschaftspolitisch motivierten EinsteigerInnen durch pragmatische ExpertInnen. Aber generell denke ich, dass sich Organisationen dieser Thematik stellen müssen und auch stellen –  „Productive Ageing“, aber in gewisser Weise auch „Diversity Management“ werden daher aktuell immer stärker zum Thema in allen Organisationen.

Welche Bedeutung hat der „Faktor Mensch“ in der heutigen Zeit und wohin geht Ihrer Einschätzung nach die Tendenz?

GW: Ganz plakativ und vereinfachend: Auch wenn Organisationen mehr sind als nur die Summe der in ihr tätigen Menschen – aber ohne Menschen sind Organisationen nicht denkbar – und insofern ist es weiterhin entscheidend, in den Funktionsträgern und MitarbeiterInnen die Menschen zu sehen und sie als solche wahrzunehmen und zu beachten.

Und ich denke, das wird auch aktuell wieder sehr bewusst … Sowohl im Hinblick auf Erfolg und Zielerreichung – als auch im Wettbewerb um gute MitarbeiterInnen.

Wenn ich gerade gelesen habe, wie aktuell so prominente Unternehmen wie Google mit ihren MitarbeiterInnen umgehen, was sie ihnen anbieten, wie sie ihr Arbeitsumfeld gestalten etc., dann haben sie diesen Aspekt sehr bewusst vor Augen – in vielerlei Hinsicht im guten Sinn, bisweilen durchaus auch mit einigen problematischen Effekten.

Wenn Organisationen ihre Mitarbeitenden dabei unterstützen wollen (und können), Veränderungsprozesse gut zu bewältigen – welche Möglichkeiten bewähren sich dabei aus Ihrer Erfahrung?

GW: Wie schon anfangs gesagt – ich denke, dass Wandel, Veränderung und Entwicklung die großen Herausforderungen aller Organisationen sind. Wenn man sich dem entzieht, setzt man seine Existenz aufs Spiel. Die große Aufgabe und Herausforderung  ist es, die Richtung und Form und Geschwindigkeit dieser notwendigen Entwicklungsprozesse aufgaben- und organisationsadäquat zu gestalten und zu steuern.

Entscheidender Aspekt dabei ist auch, die MitarbeiterInnen in den Wandel „mitzunehmen“ – sie zu begleiten,  aber auch – speziell ihre Kompetenzen – zu nutzen. Es gilt immer noch das Schlagwort: „Aus Betroffenen Beteiligte zu machen“.

Wichtig erscheint mir auch, die Unterschiedlichkeit der Personen zu beachten und zu achten: Es gibt sowohl den Typus des Veränderers als auch den des Bewahrers – und beide verdienen Respekt, beide Typen sind wichtig in und für Organisationen – sichern einerseits Stabilität und Verlässlichkeit, andererseits Veränderungsbereitschaft und Dynamik …

Wenn es nur BewahrerInnen gibt, erstarrt die Organisation … wenn es nur VerändererInnen gibt, löst sie sich wohl auf … So gilt es, diese Unterschiedlichkeit zu berücksichtigen und die Qualität und den Beitrag beider für den gelingenden Wandel zu nutzen.

Der zweite wesentliche Punkt betrifft die Rolle und Funktion der Führungskräfte – ihre Wirkung und Wirksamkeit als Mitgestalter und Träger – oder aber Bremser – von organisatorischen Entwicklungen und Veränderungen ist ganz entscheidend.

Information, Einbindung, Beteiligung, Unterstützung … ein offenes Aus- und Ansprechen von Möglichkeiten als auch von Risiken und die Ermöglichung von offenem Austausch … all diese Aktivitäten und Angebote erscheinen mir wichtig und müssen auf diese genannten Unterschiedlichkeiten hinsichtlich Zugang und Rolle abgestimmt werden.

Können Sie uns ein paar Tipps aus der Praxis verraten, wie Sie Teams und Organisationseinheiten bei der Bewältigung konkreter Veränderungsvorhaben unterstützen konnten? Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Erfolgsfaktoren gelingenden Wandels: Was hat sich in der Praxis bewährt und wo liegen aus Ihrer Sicht die Risiken?

GW: Mit generellen Tipps tu ich mir schwer … das kommt wohl auf die jeweilige Situation, das Umfeld, das Thema an.

Entscheidend erscheint die entsprechende Information und Einbindung der Betroffenen … dass man sich bewusst ist, dass Veränderungen oft auch Unsicherheiten und Ängste auslösen können … dass man diese ernst nimmt, beachtet und respektiert … dass man die Zielsetzungen und Intentionen offen und transparent kommuniziert … dass man bewusst Handlungsspielräume und Entwicklungs- und Gestaltungsspielräume zulässt … dass man die jeweilige „Eigenzeit“ oder „Eigengeschwindigkeit“ der Organisation erkennt und berücksichtigt, d.h. die „passende“ Geschwindigkeit bei Veränderungsprojekten wählt …

Wahrscheinlich ist es einfach wichtig, sich all dieser Aspekte und der damit verbundenen Risiken bewusst zu sein … genau hinzuschauen und hinzuhören … und auch durchaus bereit und gewärtig zu sein, selbst Fehler zu machen und daraus zu lernen …

Bei größeren Veränderungsprojekten kann es nützlich sein, in der Projektstruktur eine Art von Sounding-Board-Funktionen einzubauen, um so gleichsam beständig  in die Organisation „hineinzuhören“ um so „Störungen“ möglichst rasch und frühzeitig zu erkennen und eine Kultur des „Vertraut seins mit dem Wandel“ zu etablieren …

Welche Rolle spielen stärker auf die Einzelperson zugeschnittene Beratungsformate (Stichwort: Einzelcoaching) für die Entwicklung von Schlüsselkräften  … und deren Verbleib in der Organisation?

GW: Das inhaltliche und methodische Angebot an Maßnahmen und Tools der Personalentwicklung und -qualifizierung hat sich in der Zeit meiner Tätigkeit enorm entwickelt und differenziert.

Ein großer Trend war sicherlich der Übergang zu arbeitsplatznäheren und individuelleren Maßnahmen und Angeboten.

Coaching spielt in diesem Zusammenhang im AMS schon seit vielen Jahren eine wichtige Rolle – häufig im Kontext und verbunden mit anderen Maßnahmen, oft auch als Einzelmaßnahme. Das „Anwendungsfeld“ reicht dabei von gezielter Hilfestellung in besonders belastenden Arbeitssituationen, bei internen Konflikten, aber auch bis zu gezielten Bemühungen der Karriereförderung und –begleitung. Sowohl als geschätzte Form der Unterstützung und Anerkennung als auch als wirksames Mittel organisatorische Anforderungen und individuelle Möglichkeiten besser in Einklang zu bringen, kann Coaching zweifellos auch den Verbleib in der Organisation positiv beeinflussen.

Inwieweit beeinflussen neue Technologien auch die Art und Weise, wie Organisationen sich selbst und ihre Schlüsselkräfte weiter entwickeln?

GW: Wie schon erwähnt sind technologische Veränderungen und Entwicklungen in vielfacher Weise mit ein wichtiger Antreiber für Organisations- und Personalentwicklung.

Im Konkreten sind bei uns vor allem die neuen Kommunikationsmöglichkeiten und –wege Anstoß die Form unserer Kundenkontakte zu analysieren und neu zu gestalten. Unter dem Titel Multi-Channel-Strategie läuft derzeit ein umfassendes OE-Projekt, mit dem wir nicht nur eine Optimierung der Nutzung und Verbindung unserer bestehenden Kommunikationsschienen – persönlicher, telefonischer und elektronischer Kontakte – anstreben, sondern auch neue Möglichkeiten der Selbstbedienung entwickeln und öffnen wollen und damit letztlich auch in unserer Kommunikation mit unseren Kunden und Kundinnen neue Wege beschreiten wollen.

Dabei sind wir uns durchaus bewusst, dass dies auch einen Wandel bestehender Paradigmen und Kulturen implizieren und bedingen wird.

Dr. Georg Waller ist Leiter der Abteilung Organisationsentwicklung und Personalausbildung in der Bundesgeschäftsstelle des AMS Österreich

© Photo by Georg Waller