„Wenn du jemanden für eine Führungsfunktion suchst, achte darauf, dass sich die betreffende Person bereits in einer extremen Situation bewährt hat“ – lautete vor Jahren eine meiner wichtigsten Lektionen in Personalfragen. Doch über welche Fähigkeiten muss eine Führungskraft wirklich verfügen, um sich in einer Extremsituation zu bewähren? Wie kann Führung gelingen, wenn’s richtig „heiß“ wird? Und: Wie können wir sie darauf vorbereiten?
Diesem Themenkomplex widmete sich die Herbsttagung der MILAK am 12. September 2015 an der ETH Zürich mit praxisnahen Referaten von hochkarätigen Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Medizin, Militär und Wissenschaft. Ihre Erfahrungen geben ein recht eindeutiges Bild.
Leadership: Tun, was zu tun ist.
Extremsituationen finden selten nach Fahrplan statt. Sie treten auf, zwingen uns zu einer radikalen Fokussierung auf das Wesentliche und fordern meist unsere sofortige Reaktion.
Dafür ist die Autorität einer Führungsperson mit entsprechendem Sachverstand unabdingbar, betont Benedikt Weibel, ehemaliger Chef der Schweizerischen Bundesbahnen und nunmehriger Honorar-Professor für „Praktisches Management“ an der Universität Bern.
Unter großem äußerem Druck einsame Entscheidungen zu treffen und umzusetzen erfordere die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu erkennen (patern recognition), sachlich angemessene Handlungen abzuleiten und adäquat und authentisch zu kommunizieren, ohne sich von der persönlichen Betroffenheit überwältigen zu lassen.
Dass Leadership auch heiße, in kurzer Zeit die wesentlichen Einflussgrößen unter Kontrolle zu bringen, unterstreicht auch Daniel Weder, der ehemalige Vizepräsident der SWISS und nunmehrige CEO des schweizerischen Flugsicherungsunternehmens Skyguide. In einem konkreten Anlassfall gehe es nicht zuletzt darum, den Kommunikationslead sicherzustellen. Das sei in Zeiten von Social Media nicht immer einfach, für eine erfolgreiche Krisenkommunikation jedoch unverzichtbar.
Hinter den Kulissen: Der Umgang mit den eigenen Leuten
Auf die besondere Bedeutung der internen Kooperation weist der Mediziner Enrique Steiger in seinem Beitrag über Teamführung im Kontext humanitärer Hilfsaktionen in Kriegs- und Krisengebieten hin. Ob und wie gut Menschen in Extremsituationen zusammen arbeiten müsse bereits bei der Personalauswahl berücksichtigt werden. Unter anspruchsvollen Einsatzbedingungen trage der Teamgeist wesentlich zum Gelingen bei – andererseits könne aber schon eine einzige Fehlbesetzung zum Scheitern der Mission führen. Leadership bedeute eben auch, im Falle einer Gefährdung der Zielorientierung des Teams entsprechend rasch und konsequent zu reagieren und Fehlbesetzungen im Interesse aller Beteiligten rasch zu beseitigen.
Unisono betonen die Referenten die Wichtigkeit einer authentischen und klaren internen Kommunikation in Verbindung mit einer hohen Sensitivität gegenüber psychosozialen Faktoren. Leadership zu zeigen bedeute in diesem Kontext auch, als integrative Persönlichkeit aufzutreten, die mit Optimismus, Gelassenheit und einer „take-care“-Mentalität allfälligen Überlastungen im eigenen Team vorbeugt.
Was macht die krisenfeste Führungspersönlichkeit nun wirklich aus?
Der Professor für „Management and Organizational Studies“ an der Niederländischen Verteidigungsakademie und Universität Tilburg Prof. Dr. Joseph Soeters skizziert die erforderlichen Aspekte von Leadership in Extremsituationen folgendermaßen:
- Stressbeständigkeit
- Spannkraft
- „can-do“-Mentalität
- Direktives Verhalten
- Kompetent und vorbereitet sein
- Vertrauen genießen
Gleichzeitig weist er aber auch auf paradoxe Wechselwirkungen hin:
Erfolgszuversicht („can-do – Mentalität“) als unabdingbare Grundhaltung für Führungskräfte in Extremsituationen bedarf der Ergänzung um eine nüchterne Einsicht über die Grenzen des Machbaren: Einer aufziehenden Gewitterfront im Hochgebirge ohne entsprechenden Schutz die Stirn bieten zu wollen kann einen hohen Preis fordern.
Spannkraft (und damit verbunden die Fähigkeit zur Regeneration) bedarf der Ergänzung um selbstreflexive Elemente, damit die Fähigkeit erhalten bleibt, aus dem Erlebten zu lernen: Es macht wenig Sinn, mit noch mehr Durchschlagskraft in die falsche Richtung zu marschieren.
Autorität und direktives Verhalten bedürfen der Ergänzung um die Bereitschaft zuzuhören: Hinweise auch von deutlich jüngeren oder weniger erfahrenen Personen auf möglicherweise übersehene Details können Fehlentscheidungen verhindern.
Die Gretchenfrage: Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Im März 1943 übernimmt der junge Lt. John F. Kennedy im Südpazifik das Kommando über das amerikanische Schnellboot PT 109. Wenige Monate später wird er von einem japanischen Zerstörer gerammt und versenkt, die gesamte Mannschaft wird nach 5tägiger Odyssee gerettet, Kennedy in der amerikanischen Presse als Held gefeiert.
„Aber wie um Himmels Willen konnte es überhaupt soweit kommen, dass ein bedeutend langsamerer Zerstörer ein Schnellboot rammt und versenkt?“ – konfrontierte später in einem Brief dessen Bruder den gefeierten Helden.
Mit erheblichem Aufwand, aber immerhin einigermaßen bewältigbar, sind absehbare Krisen- oder Katastrophenszenarien. Der Direktor der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin am Universitätsspital Zürich Prof. Dr. med. Edouard Battegay führt entsprechend aus, welche Vorkehrungen und gestuften Alarmierungen in einem medizinischen Großbetrieb wie seiner Organisation getroffen werden. Doch erstens kommt es oftmals anders und zweitens als man denkt.
Als dementsprechend wichtig erachten alle Referenten der Veranstaltung eine möglichst umfassende Vorbereitung bei gleichzeitigem Wissen um die beschränkte Kalkulierbarkeit en détail.
Auf der operativen Ebene gehöre die konsequente Berücksichtigung von worst-case-Szenarien in Verbindung mit dem Aufstellen einer funktionstüchtigen (und auch im ganz normalen Alltag immer wieder aktivierten) Kriseninfrastruktur zu den wichtigsten vorbeugenden Maßnahmen. So könnten Gefahren am ehesten erkannt und deren Eskalation frühzeitig verhindert werden.
Auf der persönlichen Ebene – so lässt Veranstaltungsorganisator Prof. Dr. Franz Kernic den bereits zitierten John F. Kennedy nochmals zu Wort kommen – kann Leadership in entsprechenden Trainings entwickelt werden.
Denn Führungskräfteentwicklung ist letztlich Persönlichkeitsentwicklung.
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